Agile HR ohne Illusionen: Was heute wirklich wirkt

Ein Gespräch von Ari Byland mit Florian Achermann & Stefan Ruoss

Während agile Teams längst in kurzen Sprints arbeiten und kontinuierlich Feedback geben, hinkt HR häufig noch den starren Jahreszyklen hinterher. Das Resultat: Frustrierte Mitarbeiter, ineffiziente Prozesse und eine wachsende Kluft zwischen moderner Teamarbeit und traditionellen Personalmanagement-Praktiken. In unserem aktuellen Value Talks Podcast diskutieren Stefan Ruoss und Florian Achermann die brennendsten Herausforderungen von Agile HR – und zeigen auf, warum HR-Abteilungen im Kern bereits Agile Coaches sind, die nur die Chance brauchen, diese Rolle zu leben.

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Die Schweizer Unternehmenslandschaft steht vor einem Paradox: Während IT-Teams längst in Sprints arbeiten und kontinuierlich Feedback geben, bleiben HR-Prozesse oft in starren, jährlichen Zyklen gefangen. In der neuesten Episode von Value Talks beleuchten wir gemeinsam mit Stefan Ruoss und Florian Achermann die Herausforderungen und Lösungsansätze für Agile HR.

Das Spannungsfeld zwischen agilen Teams und traditionellen HR-Prozessen

Stefan Ruoss, erfahrener Scrum Master und Organisationsentwickler, beschreibt die alltägliche Realität vieler agiler Teams: «Wir haben alle zwei Wochen ein Retro, wo wir über Teamdynamik und Performance reden. Und dann kommt Ende Jahr noch der Prozess, wo das irgendwie zusammengefasst werden soll vom ganzen Jahr». Dieses Spannungsfeld zwischen kontinuierlichem Feedback in «small batches» und dem grossen «Performance-Batch» am Jahresende führt zu Frustration und ineffizienten Prozessen. (Höre auch: Agilität und New Work: Nur zwei Buzzwords?)

Die Herausforderung der individuellen Bewertung im Teamkontext

Besonders problematisch wird es bei Lohn- und Beförderungsthemen. Ruoss bringt es auf den Punkt: «Wir sprechen gerne von High-Performing-Teams. Aber wieso werde ich als Individuum gemessen und vielleicht sogar verglichen?». Diese Diskrepanz zwischen dem Wunsch nach Teamperformance und individueller Bewertung zeigt die fundamentalen Widersprüche im aktuellen System auf. (Höre auch: Team oder Gruppe? Und weshalb ist das wichtig?)

Warum HR den Anschluss an die Agilität verpasst hat

Florian Achermann, ehemaliger Head Group HR und heutiger Leadership Coach, erklärt die historischen Wurzeln des Problems: «Wo haben wir gestartet? Lohnadministration. Die ganze administrative Küche. Von dort her kommen wir im HR». Diese administrative Vergangenheit prägt noch heute die DNA vieler HR-Abteilungen und macht den Wandel zu einer menschen- und teamzentrierten Funktion besonders herausfordernd.

Drei zentrale Herausforderungen für Agile HR

1. Organisationsweite Auswirkungen
Anders als bei der IT-Agilisierung betrifft eine Transformation im HR die gesamte Organisation. Achermann erklärt: «Wenn HR startet, dann betrifft es alle. Also wenn HR anfängt, per se in den Performance Management Prozessen zu agilisieren, dann macht es das für die gesamte Organisation».

2. Etablierte Muster und Strukturen
HR ist seit Jahrzehnten etabliert und in komplexe Systeme eingebettet. «Diese Kombination finde ich knifflig», so Achermann über die Herausforderung, neue Muster zu schaffen und sich von alten Gewohnheiten zu lösen.

3. Run and Change the Business
Die Doppelrolle von HR zwischen operativer Administration und strategischer Organisationsentwicklung führt zu einem ständigen Spagat: «Lohnadministration und Sozialversicherung funktionieren einfach anders als Organisationsentwicklung und Leadership Development».

Lösungsansätze: Trennung und neue Rollen

Die Experten sehen die Lösung in einer klaren Trennung zwischen verschiedenen HR-Funktionen. Achermann plädiert für eine «radikale Trennung»: einen Administrationsteil, der effizient abgewickelt wird, und einen «People and Culture»-Bereich, der sich mit Teamdynamik und Organisationsentwicklung beschäftigt.

HR als Agile Coaches

Besonders spannend ist Achermanns These: «HR sind doch eigentlich auch Agile Coaches». Diese Erkenntnis eröffnet neue Perspektiven auf die Rolle von HR in agilen Organisationen. Statt als administrative Funktion können HR-Fachkräfte als interne Coaches für Teamdynamik und Organisationsentwicklung fungieren.

Konkrete Handlungsempfehlungen

Für Agile Teams

Stefan Ruoss empfiehlt «Hartnäckigkeit» und das Prinzip «work on the system, not in the system». Scrum Master und Agile Coaches sollten aktiv das Gespräch mit HR suchen und konkrete Problemstellungen aufzeigen.

Für HR-Professionals

Achermanns wichtigster Tipp: «Wirklich einfach mal in diesem Kontext arbeiten. Und zwar nicht einfach nur zwei, drei Tage. Also wirklich mal in so einem Setting über einen längeren Zeitraum erleben, was das ist». Nur durch das direkte Erleben agiler Arbeitsweisen können HR-Fachkräfte die Potenziale verstehen und übertragen.

Experimenteller Ansatz

Statt grosser Transformationsprogramme empfehlen die Experten einen experimentellen Ansatz: «Was wäre, wenn man als Experiment auch mal anschauen würde, wie Organisationen anders funktionieren». Dies könnte sogar bis zur parallelen Führung verschiedener HR-Systeme für agile und klassische Organisationsteile führen.

Fazit: Eine Frage der Zukunftsfähigkeit

Die Diskussion macht deutlich: Agile HR ist nicht nur ein «nice-to-have», sondern eine Frage der organisationalen Zukunftsfähigkeit. Achermann prognostiziert sogar: «Wenn die HR nicht in der Driver’s-Seat-Rolle schlüpft, dann könnte ich mir vorstellen, dass in 10, 15 Jahren HR in dieser Form von der Bildfläche verschwindet».

Die Lösung liegt nicht in vorgefertigten Rezepten, sondern im gemeinsamen Experimentieren und Lernen. Wie Ruoss treffend bemerkt: «Die Antwort an und für sich gibt es in diesem Sinn nicht. Es gibt so ein bisschen einfach zu diesem Mindset». Der Weg zu Agile HR führt über Neugier, Experimentierfreude und die Bereitschaft, etablierte Muster zu hinterfragen.


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⁠⁠⁠Ari Byland⁠⁠⁠ ist Organisationsentwickler und Professional Scrum Trainer bei Scrum.org.